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In Wahrheit ist Straffälligkeit eine soziale Frage.
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Ich bin der Meinung, dass Bewährungshilfe Beziehungsarbeit ist und dass Bewährungshilfe nur funktioniert,
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wenn man zum Klienten eine Beziehung aufbauen kann, eine Arbeitsbeziehung aufbauen kann.
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Da habe ich mir im Laufe der Zeit auch schon Tricks oder Fertigkeiten zugelegt,
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wo es mir auch Spaß macht, Klienten manchmal zu verblüffen oder mit irgendetwas zu überraschen,
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wo ich mir denke, das bringt ihn sicher zum Denken.
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Ich lese immer zuerst den Akt und schaue mir an, was er gemacht hat.
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Dann entwickle ich Überlegungen, was könnte er brauchen.
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Es ist einmal so eine Hypothesenbildung. Dann kommt das Erhebungsgespräch.
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Das ist das erste Gespräch, das der Klient bei uns in Kontakt mit der Bewährungshilfe hat,
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wo eine Situationserhebung der aktuellen Lebenssituation gemacht wird,
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und aufgrund dieser Erhebung dann auch geschaut wird, den passenden Bewährungshelfer,
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die passende Bewährungshelferin zu finden.
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Dann geht es darum, die Klienten kennenzulernen, zu schauen, was sind die Ziele,
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die man gemeinsam verfolgen könnte, welche Arbeitsvereinbarung kann man treffen.
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Man muss dem Klienten auch klar machen, dass Teil der Betreuung die Deliktverarbeitung ist.
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Das heißt, wo geschaut wird, was ist passiert, warum ist es passiert, wer hat was dazu beigetragen,
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wie hoch ist das Risiko, dass das wieder passieren kann,
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wie bewertet er diese Handlungen, die er gesetzt hat nach der Verurteilung
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und welche Handlungsalternativen kann er entwickeln.
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Wenn man einmal eine Betreuungsbeziehung aufgebaut hat und so die ersten Schritte gegangen ist,
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dann ergibt es sich ganz von selbst und da gibt es Leute, wo man sagen kann, es geht auch mit wenig Kontakt.
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Man sieht sich nur sporadisch und überprüft, ob die Richtung noch stimmt, in die der Klient geht.
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Oder aber es gibt Leute, die viel Kontakt brauchen und denen man auch viel nachgehen muss,
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weil sie dann irgendwann an einen Punkt kommen, wo sie so mit ihren Defiziten konfrontiert werden,
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dass sie ausbleiben und nicht mehr zu den Terminen kommen
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und dann muss man ihnen nachgehen, nachfahren und suchen
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und das kann oft sehr mühsam werden und auch frustrierend.
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Was natürlich auch passiert ist, dass man Haftbesuche machen muss.
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Ansonsten gibt es Unterstützung bei Behördenwegen.
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Es kann auch methodisch sinnvoll sein, dass man sich in einem Kaffeehaus trifft,
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um eine unbeschwertere Atmosphäre herzustellen.
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Hausbesuche gehören natürlich dazu, weil man da auch sehr viel sieht
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und sehr viel kennenlernt von den Leuten, das man im Büro nicht sehen kann.
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Auch ein Zeichen an die Klienten, dass man auch vor Gericht vor Ort ist und weiß, was vor Gericht läuft
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und auch den Klienten begleitet zur Gerichtsverhandlung, quasi beisteht.
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Es ist auch so, dass der Bewährungshelfer oder die Bewährungshilfe
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dem Gericht berichten muss in bestimmten Abständen, wo allerdings nur ganz bestimmte Dinge berichtet werden.
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Das heißt, Gesprächsinhalte oder so werden nicht beschrieben, aber es werden die Themen,
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an denen gearbeitet wird, genannt und ob jemand kommt.
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Wird jemand rückfällig, wieder strafbar oder nicht. Das ist das oberste Kriterium.
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Was ist glaube ist, dass man ein grundlegendes Interesse an Menschen haben muss
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und ein grundlegendes Interesse an menschlichen Schicksalen.
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Es ist wirklich eine ganz schöne Ladung, was man da erlebt an Geschichten und oft auch tragischen Geschichten.
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Man braucht Verständnis für soziale Zusammenhänge,
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um irgendwie auch ein Verständnis dafür entwickeln zu können,
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wie Kriminalität entsteht oder warum Menschen kriminell werden könnten.
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Man braucht ein gewisses Maß an Optimismus und Glaube an das Gute im Menschen.
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Man braucht Durchhaltevermögen.
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Man muss oft 100 Schleifen machen, bevor die 101. vielleicht zum Erfolg führt.
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Man muss auch aushalten, dass es bei manchen Leuten keinen Erfolg gibt.
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Ein Kollege von mir hat einmal gesagt,
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wenn man jeden Tag dem Wahnsinn ins Gesicht schaut, schaut er irgendwann zurück.
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Das stimmt.
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Also man muss da schon für sich eine eigene Strategie entwickeln, wie man das verarbeitet.
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Ich finde es wichtig, bewusst zu haben,
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dass das auch gefährliche Menschen sein können, mit denen man zu tun hat
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und dass man in gefährliche Situationen kommen kann und dass man für sich schon parat hat,
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was man tut, wenn man sich bedroht fühlt oder wenn man ein ungutes Gefühl entwickelt im Klientenkontakt.
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Nämlich man geht schnellst möglich ohne irgendetwas gewinnen zu wollen.
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Wenn man sich wirklich für den Beruf interessiert, muss man sicher sein, dass man psychisch stabil ist.
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Man muss sich für Menschen interessieren und ihre Schicksale.
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Man braucht die Fähigkeit in der Mitte zu bleiben, bei sich zu bleiben
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und sich nicht hinreißen zu lassen zu unüberlegten Handlungen
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oder Impulsen nachgeben, die man momentan hat.
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Man muss stabil bleiben und bei sich bleiben.
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Der Bedarf wird wahrscheinlich steigen.
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Allerdings, ob es das politische Verständnis oder ob die Entscheidungsträger in der Lage sein werden,
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das zu erkennen, ist eine andere Frage.
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Ihr müsst Euch das vorstellen. Bis ca. 1977 ist gewissermaßen 80 bis 85% das, was Sozialarbeiterinnen,
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damals werden sie schon Sozialarbeiterinnen genannt, das machen Leute im Bereich der Jugendamt-Sozialarbeit.
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Dann gibt es noch die Straffälligenhilfe, also die Bewährungshilfe
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Dann beginnt erst mit den ausgehenden 1970er Jahren
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erstmalig eine Ausdifferenzierung in verschiedene Handlungsfelder in diese Vielfalt
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Das ist geprägt von den Sozialarbeiterinnen, die jetzt im Bereich,
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gerade auch im Zusammenhang mit der Frauenbewegung entstehen die ersten Frauenhäuser,
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in späterer Folge dann Interventionsstellen gegen Gewalt in der Familie.
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Es entstehen Streetwork-Projekte.
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Es entstehen in den 1980er Jahren neue Formen der Wohnungslosenhilfe, die auf Schiene gebracht werden.
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Die Suchthilfe, die Psychosozialen Dienst-Angebote.
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Diese sozialpsychiatrischen Problemfälle werden von Sozialarbeiterinnen gemacht.
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Diese Situation, dass wir jetzt ein Wording haben,
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dass alle Bachelor-Programme Soziale Arbeit großgeschrieben und getrennt genannt werden,
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ist eine, ohne es so kenntlich gemacht zu haben, Übernahme bundesdeutscher Wordings.
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Die Frage ist immer rechtliche Normen, Theorie und wie wird die Praxis gelebt.
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Die Berufsgruppe hat immer wieder die Herausforderung in diesem Spannungsfeld zu agieren.
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Das heißt, es gibt einen alten Klassiker, der sagt, es gibt das doppelte Mandat.
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Das eine Mal verstehst du dich als beruflicher Sozialarbeiter, Sozialarbeiterin.
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Ich bin für meine Klientinnen da.
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Andererseits wirst du natürlich auch von der öffentlichen Sozialverwaltung bezahlt.
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Das ist natürlich so etwas wie ein Spannungsverhältnis.
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Beziehungsweise es gibt neuerdings, das könnte man auch ein bisschen optimistisch interpretieren,
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ein drittes Mandat, wo man sagt, wir haben auch eine gesellschaftspolitische Herausforderung.
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Wir als Berufsgruppe sind auch dazu da, eine gerechtere und sozialere Gesellschaft mitzubewirken.
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Behördliche Sozialarbeit hat natürlich auch in den letzten 15 Jahren zunehmend nur mehr ihre Kernbereiche.
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Das andere wird einfach ausgelagert und zugekauft von freien Trägern der Wohlfahrt.
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Es gibt gewissermaßen diesen Wohlfahrtsmix.
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Er ist aber nicht, wie viele glauben, ein ganz neues Phänomen und hätte mit dem Neoliberalismus zu tun.
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Ich als Historiker, der auch die Geschichte der Sozialen Arbeit immer wieder erforscht hat in den letzten Jahrzehnten,
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muss feststellen, seit den 1880er Jahren kann man nachweisen,
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dass die behördlichen Einrichtungen und Träger auf der einen Seite schon anno dazumal gesagt haben,
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wir haben viele Vereine, denen geben wir Subventionen und Förderungen und die sollen das und das für uns miterledigen.
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So ist es eigentlich seit eh und je in diesem historischen Ablauf einmal so und so das Mischungsverhältnis.
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Aber an sich ist es nichts Neues.
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Es führt natürlich auch dazu, dass jetzt in den Handlungsfeldern teilweise natürlich die Bezahlung auch variiert.
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Es ist so, dass die Verberuflichung des weiblichen sozialen Ehrenamtes
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am Vorabend des I. Weltkrieges seine ersten Ausprägungen hatte
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mit gesetzlichen Veränderungen, dass man überhaupt in die Familie hineinintervenieren konnte.
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Bei Missbrauch und bei Vernachlässigung hat man dann das Jugendamt gesetzlich institutionell geschaffen.
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Dann hatte man die Herausforderung und am Ende des I. Weltkrieges
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beziehungsweise zu Beginn der Ersten Republik im Jahre 1918
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hat man dann erstmalig ein öffentlich rechtlich anerkanntes Ausbildungssystem bekommen.
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Wir haben heutzutage in jedem Bundesland eine Ausbildung. Das war aber nicht immer so.
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In jedem Bundesland haben wir eine Sozialarbeiterinnen-Ausbildung.
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Aber es sind keine geklonten identen Ausbildungsprogramme.
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Es ist klar, die Grundsachen sind überhaupt keine Frage.
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Es gibt dann natürlich standortbezogene Profile, Akzente und dergleichen mehr.